Mit der Zeit fällt mir auf dass ich von Uruguay ziemlich einseitig berichte und –wie mir das zu Hause immer geraten wird – versuche nur die gute Seite zu betrachten. Das verzerrt aber das tatsächliche Bild ein wenig: Armut existiert nämlich in diesem Land und vor allem in Montevideo sehr wohl und in relativ großem Ausmaß. Der Anteil der Armen liegt bei über 20%, als extrem arm gelten 1,6% der Bevölkerung. Die Viertel der Stadt in denen ich mich hauptsächlich bewege machen nur einen klitzekleinen Teil Montevideos aus und rund um diesen Kern muss man erst noch viele, viele arme Stadtteile durchkreuzen um aus der Stadt zu kommen. Dort hausen die Leute in ärmlichen Häusern, die teilweise fast schon ein bisschen an Favelas erinnern. Es ist kaum möglich einen Tag in Montevideo zu verbringen ohne mit Wohnungslosen, die bei strömendem Regen an eine Wand gepresst und in dreckige Decken gehüllt Schutz vor der Kälte suchen und den allgegenwärtigen Carros konfrontiert zu werden. Die Besitzer der Carros (ein Wagen mit ganz viel Müll gezogen von einem armen, mies behandelten Pferd) durchwühlen die Mülltonnen, trennen den Müll und verkaufen ihn zu Spottpreisen. Was nach vorbildhaftem Recycling klingt wird von der Regierung unterstützt und als Erwerbstätigkeit akzeptiert, scheint mir aber keineswegs die optimale Lösung zur Mülltrennung zu sein. Im Rahmen eines meiner Kurse auf der Uni arbeite ich zukünftig einmal die Woche in einem psychiatrischen Krankenhaus, was für mich eine neue und äußerst spannende Erfahrung ist. Den Patienten, mit denen wir in einem „Taller de Teatro“ arbeiten, habe ich bei unserer ersten Begegnung letzte Woche zwar einen sehr positiven ersten Eindruck zu verdanken, dafür schockiert mich das öffentliche Krankenhaus umso mehr. In übel riechenden und dreckigen Sälen liegen die Patienten Bett an Bett, und sind nach nichts weiter getrennt als nach dem Geschlecht, das heißt jemand mit einer leichten Depression verbringt seine Tage mit schwer psychisch kranken Leuten. Hier möchte ich kurz einwerfen, dass in meiner bisherigen Vorstellung Krankenhäuser dazu da waren, Leute zu heilen und ihnen dabei zu helfen ihren Gesundheitszustand zu verbessern. Trotzdem freue ich mich schon auf diese Arbeit!
Um euch nicht ganz deprimiert und ohne Hoffnung auf eine bessere Welt zurückzulassen, hier ein paar nette Details des urugayischen Lebens die mir sehr gut gefallen und bei denen es sich lohnen würde, sie in Österreich einzuführen:
Ein Beso zur Begrüßung. Unabhängig vom Grad der Verwandt- oder Bekanntschaft, wird hier jeder mit einem Busserl auf die Wange begrüßt und verabschiedet. Dabei wird die rechte Hand auf die linke Schulter oder um die linke Hüfte des Gegenübers gelegt, und die jeweils rechten Wangen werden aneinander gedrückt um dort einen Schmatzer zu hinterlassen. Wenn man also einen Raum betritt mit 15 Leuten, sollte man besser 5 Minuten mit einberechnen, die für die Begrüßung draufgehen – ausgelassen wird nämlich keiner. Diese liebevolle Gepflogenheit gewinnt ganz klar gegen das lächerliche Bussi links Bussi rechts zu Hause das ganz kühl mit einem Handschlag beginnt…
Wer den Cent nicht ehrt… sollte nach Uruguay auswandern! Die kleinste Münze in Uruguay ist 1 uruguayischer Peso, so etwas wie Cent gibt es nicht. Würde sich wohl auch kaum lohnen, da ein Peso 0,037 Euro wert ist. Dennoch existieren in den Supermärkten Kommabeträge. An der Kasse wird also je nach Stimmung des Verkäufers entweder auf- oder abgerundet – und jetzt setzt euch hin: Das funktioniert! Es gibt keinen Streit um lächerliche Geldbeträge, weil jeder weiß, dass wenn er heute zu viel zahlt, er wahrscheinlich morgen dafür weniger zahlen wird. Ach, wie schön zu sehen in unserer vom Geld regierten Welt…
Día del Ñoqui. Der 29. jeden Monats ist der Tag der Gnocchi, hier liebevoll Ñoqui geschrieben. An diesem Tag wird diese Kartoffelnudel geehrt und das ganze Land isst Gnocchi, die in den Restaurants dann meist günstig zu haben sind. Während Wikipedia dem Gnocchi nur einen spärlichen Einzeiler widmet, findet man über die Ñoqui ganze Seiten inklusive Rezeptvorschläge. Da Gnocchi immer leistbar waren findet der Tag der Gnocchi am Ende des Monats statt, und so ist es üblich Geld unter dem Teller zu platzieren – das Soll Glück und Reichtum bringen. Ich finde das (oder der? Oder die?) Gnocchi verdient auch in Österreich einen eigenen Tag im Monat. :)
Das ist also der Unterschied zwischen einem Beso und einem Peso :-)) Aber gut, dass du uns auch die nicht so schönen Seiten objektiv mitteilst. Beso - Andi & Adrian
AntwortenLöschen.. also über deine Krankenhausarbeit hoff ich dann einiges mehr zu erfahren. an was scheitert es, an med mitteln od geld od guten willen oder was ? ich muss dir noch einmal sagen "es ist genial was du tust, ich wär gern bei dir" bussal evi
AntwortenLöschenInteressant die Erfahrungen anderer in diesem Land nachlesen zu können. Ich bin sehr gespannt, wie es mir dort selbst ergehen wird.
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